Dieser Artikel soll helfen das Verständnis über das Risiko von (unerkanntem) Merle und seinem Potenzial in der Zucht zu schulen. Dazu habe ich ein paar Bild-Beispiele zusammengestellt. Wer im Thema merle und Vererbung noch ein absolutes Greenhorn ist, kann in meinem letzten Artikel zum Thema nochmal alle wichtigen Basics auffrischen: Aktuelle Forschung zum M-Locus (Merle)

Merle ist Merle! Oder etwa doch nicht?

  • Wenn Doublemerle vorliegt, also zwei dominante Merle-Allelele, dann steigt das Risiko für Taub- und Blindheit unweigerlich. Richtig? Falsch!
  • Solange man keine Zobelmerles züchtet, kann man einem Hund das Merle im Phänotyp sicher ansehen und ein genetischer Test ist somit unnütz. Richtig? Falsch!
  • Solange dominantes Merle lediglich heterozygot vorliegt, ist kein Risiko für Blind- und Taubheit zu erwarten. Richtig? Falsch!

Kurze Rekapitulation
Es gibt viele verschiedene Merleallele. Dazu gehören: Mc, Mc+, Ma, Ma+, M und Mh. Alle Allele unterscheiden sich in ihrer Basenpaarlänge (bp). Je länger die Basenpaarkette, umso größer (=schlimmer) ist der Effekt auf den Phänotyp. Als logische Schlussfolgerung daraus lässt sich ableiten, dass sich die Merleallele auch in Kombination miteinander unterschiedlich im Phänotyp verhalten und unterschiedliche Effekte auslösen. Diese zu kennen sollte daher Grundvoraussetzung sein, wenn man mit merle züchtet. Aber keine Panik – es ist nur halb so kompliziert wie es klingt.

Merle funktioniert in allen Rassen nach den gleichen Regeln.

In jeder Rasse mit Merle gibt es Allele, die keine sichtbaren Einfluss auf den Phänotyp nehmen. Dazu zählen Mc und Mc+ (kryptisches Merle) und Ma (atypisches Merle).

In jeder Rasse kann Ma+ (atypisches Merle) ebenfalls keinen sichtbaren Einfluss auf den Phänotyp nehmen.

In jeder Merle-Rasse besteht die Chance für Mosaizismus, bei dem Merle die Stellung des „Minor-Allel“ einnimmt und sich nicht sichtbar ausprägt, aber TROTZDEM vererbt werden kann.

Und ganz wichtig – Mh (harlekin/herding Merle) kann sich als „minimal merle“ ausprägen, was bedeutet, dass das „risikoreichste Merle-Allel“ sich so unscheinbar äußert, dass es leicht übersehen werden kann. Besonders bei Aussies scheint dies eine nicht ganz unerhebliche Rolle zu spielen, da Mh scheinbar häufiger vorkommt, als „normales“ merle.

m = kein merle
Mc = Cryptic/kryptisches Merle – 200-230 bp
Mc+ = Cryptic/kryptisches Merle+ – 231 – 246 bp
Ma = Atypical/atypisches Merle – 247-254 bp
Ma+ = Atypical/atypisches Merle+ – 255-264 bp
M = Classic/klassisches Merle – 265- 268 bp
Mh = Harlekin Merle – 269-280 bp


Mosaizismus:

Mosaizismus hat NICHTS mit Doublemerle zutun! Hunde mit Mosaikergebnissen tragen lediglich UNTERSCHIEDLICHE Informationen in ihren Zellen. Es ist grundsätzlich möglich, dass Mosaikhunde in manchen Keimzellen die eine und in anderen Keimzellen die andere Information tragen und sie daher in der Lage sind, BEIDE Informationen getrennt von einander zu vererben.

Man unterscheidet die Fraktionen in „Minor-Allel“ und „Major-Allel“. Das Minor-Allel wird in Schriftform zur Verdeutlichung in [ ] gesetzt.

Mosaizismus ist ein regelmäßig vorkommendes Phänomen. In Marys Buch sind 45 von 243 getesteten Hunde von Mosaizismus betroffen. Im Durchschnitt sind das 18% – 1 von 5.5 Hunden  ist ein Mosaik.


 

Welche Bedeutung hat nicht sichtbares Merle in der Vererbung?

Unproblematisch – Mc, Mc+, Ma:
Um diese Frage zu beantworten, sollten wir uns vergegenwärtigen welche Merle-Allele bzw. welche Kombinationen überhaupt problematisch sein können. Um den Bogen auf den Anfang des Artikels zurück zu spannen: Mc, Mc+ und Ma haben KEINEN Einfluss auf den Phänotyp. Sie löschen KEIN Pigment zu weiß! Ihre SINE-Insertion ist schlicht zu kurz! Es ist mit KEINEN gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen. Völlig egal, ob diese Allele heterozygot vorliegen ODER miteinander kombiniert werden! BEACHTE: Beispielsweise Kombinationen wie Mc/Mc, Mc+/Ma oder Ma/Ma sind laut gängiger Definition trotzdem DOUBLEMERLES! Der Begriff Doublemerle ist in den einschlägigen Rasseszenen mit verbotenen Zuchtpraktiken assoziiert. Genau genommen wird aber auch in seriösen Verbänden Doublemerle-Zucht praktiziert, nur dass dies kaum den meisten Züchtern und Käufern bewusst sein dürfte, da diese Hunde phänotypisch wie non merles aussehen. Siehe dazu die untenstehenden Beispiele.

Kombinationen mit Ma+
Man geht davon aus, dass Kombinationen aus Ma/Ma und Ma/Ma+ unbedenklich sind, während für Ma+/Ma+ und Ma/M ein zwar kleines, aber immerhin potentielles Risiko für gesundheitliche Defekte besteht.

Interessante Effekte entstehen bei Kombinationen mit Ma und Ma+. Zwei phänotypisch aussehende non merles können phänotypisch merle Welpen produzieren!

 

Kombinationen mit M und Mh
M und Mh haben immer einen nennenswerten Einfluss! Vermieden werden sollten Kombinationen von Zuchtpartnern, die folgende Ergebnisse bringen können: Mh/Mh, Mh/M, Mh/Ma+, Mh/Ma, M/M oder M/Ma+. Es besteht ein stark erhöhtes Risiko für schwerwiegende Fehlbildungen der Sinnesorgane!

Das besondere Allel Mh
Mh – Harlekin Merle – ist das längste Merle Allel mit den meisten Basenpaaren. Mh hat eine beachtliche Spannbreite an möglichen Phänotypen und ist damit züchterisch von extremer Bedeutung. Mh ist in der Lage auch ohne Anwesenheit von anderen Merle-Allelen Pigment zu weiß zu löschen (unabhängig vom S-Lokus oder Weißfaktor!). Im Gegensatz zu allen anderen Merle-Allelen kann Mh theoretisch auch heterozygot zu Seh- und Hörbeeinträchtigungen führen. Ein Hund mit m/Mh hat so gesehen ein höheres Risikopotenzial taub zu sein, als ein Hund der Ma/Ma+ ist.

Mh kommt in drei Phänotypen vor!

#1 Minimal Merle

#2 Herding Merle

# phänotypisch wie classic Merle

Es besteht also eine besondere Gefahr, dass Mh in Form von Minimal Merle leicht übersehen werden kann. Dies kann ganz besonders fatal sein. Zum Beispiel wenn der Hund im Zuchteinsatz womöglich wie ein „non merle“ eingesetzt wird, genetisch aber Mh ist. So wie im Fall von Tripp!

Merke: Mh kann sich als Minimal Merle ausprägen. Minimal Merle kann in manchen Fällen dazu führen, dass ein Hund wie non merle aussieht. In Kombination mit anderen Merle-Allelen können schnell Hunde mit Doublemerledefekten entstehen.

Mh kann auch ohne Anwesenheit von anderen dominanten Merle-Allelen Pigment zu weiß löschen und kann somit zu einem erhöhten Weißanteil im Fellkleid führen. Mh erhöht das Risiko für Taub- und Blindheit.

 

Wenn Merle im Mosaizismus unerkannt bleibt
Eine weitere Möglichkeit wie merle übersehen werden kann, zeigt dieser Fall.

Das Besondere in diesem Fallbeispiel ist, dass Ben ein Mosaikhund ist, bei dem sich das ursprünglich längere Allel M in der embryonalen Entwicklung zwar in manchen Zellen seines Körpers zu Mc+ verkürzt hat, dann aber die Stellung des Minor Allels eingenommen hat (in den meisten Fällen geschieht das eher andersherum, Mc+ wird zum Minor-Allel, M zum Major Allel).

Mc+ führt zu keiner phänotypischen Veränderung und ist bei der Vererbung unproblematisch. M (klassisches Merle) dagegen verhält sich wie „richtiges Merle“. Dadurch, dass Mc+ in Bens Zellen dominiert, hat M wenig Einfluss auf den Phänotyp. Interessant ist jedoch, dass Bens Keimzellen trotzdem alle drei Allele (also m, Mc+ und M) vererben können. Mit der Hündin Daisy brachte Ben also Welpen, die jeweils alle ein unterschiedliches Allel geerbt haben.

Tuna erbte m vom Vater und Mc der Mutter. Da Mc keine Veränderung des Phänotyps verursacht, ist sie phänotypisch non merle.

Drum erbte Mc von der Mutter und Mc+ Vom Vater. Genotypisch Doublemerle, phänotypisch non merle – und absolut gesund!

Ram erhielt von der Mutter Mc und vom Vater das Minor-Allel M! Er ist damit Mc/M und durch das M phänotypisch klassisch merle – und ebenfalls ohne Beeinträchtigungen, da Mc zu kurz ist, um Effekte im Phänotyp auszulösen.

Ein wichtiges Fazit was man aus diesem Fall ziehen sollte ist – Merle kann sich gut verstecken! Eine Anpaarung von Ben mit einer z.B. m/M oder m/Mh Hündin hätte zu Welpen mit Doublemerle-Defekten führen können!

 

Schauen wir uns nochmal an, in welchen Fällen wir Hunden kein Merle im Phänotyp ansehen können oder es schnell übersehen!

Cryptic Merle
Mc ist ein stark verkürztes Allel, das nicht in der Lage ist Merlemuster im Fellkleid auszulösen. Es verhält sich absolut unsichtbar und kann gleichwertig wie „m“ betrachtet werden. Auch in der Kombination mit M erzeugt Mc keine risikobehafteten Effekte. Hunde mit den Genotyp Mc/M haben demnach kein erhöhtes Risiko für Taub- oder Blindheit. Mc/M löscht kein Pigment zu weiß.

Minimal Merle
Minimal Merle bedeutet, dass Hunde fast einfarbig pigmentiert erscheinen und nur in kleinen Randbereichen Merlemuster zeigen. Minimal Merle kann auf 2 Arten entstehen:

#1 Harlekin Merle. Das längste Allel auf dem M-Locus ist Mh.

#2 Mosaizismus.

Maskiertes Merle
#1 Rotes Pigment. Merle hat keinen Einfluss auf Phäomelanin! Hunde mit (fast) ausschließlich rotem Pigment zeigen kein Merlemuster. Z.B. bei rezessivem rot e/e oder purem Sable Ay.

#2 Mosaizismus. Wenn das längere Allel zum Minor-Allel wird und das kürzere Allel als Major-Allel im Phänotyp kein Merlemuster ausprägt.

 

Taub und Blind?!
In der ursprünglichen Studie [Langevin et al] wurden 10 Hunde mit Beeinträchtigungen an Augen oder Ohren gefunden (die Studie war NICHT auf diese Fragestellung ausgelegt) und es fiel auf, dass bis auf einer dieser Hunde (M/M) alle anderen 9 Hunde mindestens 1 Mh Allel trugen. Weitere Tests sind in Arbeit.

Mh ist das längste Allel auf dem M-Locus und kann zu Taubheit und Blindheit führen – auch ohne Doublemerle.

unilaterally deaf: einseitig taub; bilaterally deaf: beidseitig taub;

S/S – kein Weißfaktor!

Fig. 15 from Langevin et al

Findest du sichtbares Merle?

 

Alles klar soweit?! Wer gut aufgepasst hat, kann die Fragen vom Anfang des Artikels nun sicher beantworten!

Wenn Doublemerle vorliegt, also zwei dominante Merle-Allelele, dann steigt das Risiko für Taub- und Blindheit unweigerlich.  Falsch!
Hunde, die z.B. Ma/Ma oder Mc/M sind, sind zwar Doublemerle – haben aber KEIN erhöhtes Risiko für Beeinträchtigung der Hör- und Sehorgane ausgelöst durch Merle! Manch andere Kombinationen dagegen (z.B. M/Mh) können zu Doublemerledefekten führen.

Solange man keine Zobelmerles züchtet, kann man einem Hund das Merle im Phänotyp sicher ansehen und ein genetischer Test ist somit unnütz. Falsch!
Es gibt 3 Möglichkeiten, bei denen Merle-Hunde wie non merle aussehen: 1) Cryptic Merle, Mc ist zu kurz für Veränderungen im Phänotyp 2) Minimal Merle durch Mh oder Mosaizismus ausgelöst 3) maskiertes Merle durch rotes Pigment oder Mosaizismus. Ohne Test keine Gewissheit.

Solange dominantes Merle lediglich heterozygot vorliegt, ist kein Risiko für Blind- und Taubheit zu erwarten. Falsch!
Mh, das längste Allel auf dem M-Locus ist imstande Pigment zu weiß zu löschen. Es kommt zwar sehr selten vor, aber Mh kann zu Beeinträchtigungen des Seh- und Hörvermögens führen.


Danksagung und weiterführende Links zum Thema

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Mary Langevin und engagierten Züchtern und Hundehaltern aus der ganzen Welt entstanden. Ein riesiges Dankeschön an Mary, die unermüdlich und äußerst geduldig ihr Wissen im Internet und ihrer Facebook-Gruppe teilt. Ein Großteil der Bilder und Grafiken sind von Mary großzügig für diese Zusammenfassung zur Verfügung gestellt worden.

Weitere sehr ausführliche Informationen findet ihr in Marys großartig bebilderten Buch (sowohl in englisch, als auch in deutsch erhältlich, gedruckt oder als PDF) – Erlöse aus dem Buchverkauf fließen direkt in weitere genetische Tests von interessanten Hunden/Verpaarungen für die weitere Forschung. Das Buch kostet 10 USD und unterstützt die Merleforschung!
Hier das Buch bestellen!

Völlig kostenlos und immer brandaktuell ist die Facebook-Gruppe SINE Insertion, from Mc to Mh

Aktuell ist das beste Labor um seinen Hund auf den M-Locus zu testen Tilia in Tschechien. Testen kann man problemlos mit Haar- oder Speichelproben (ebenfalls möglich ist Blut und Sperma). Der Test kostet aktuell 47 Euro, Ergebnisse kommen innerhalb einer Woche! Ja, ich möchte meinen Hund testen!

In den nächsten Schritten möchte sich die Forschung gezielt mit den Defekten an Seh- und Hörorganen und den damit verbundenen Genotypen beschäftigen. Dazu wurde eine Spendenaktion ins Leben gerufen: Merle Testing On Impaired Dogs


Weiterführende Links und Quellen
1] https://www.merle-sine-insertion-from-mc-mh.com/ Mary Langevin, Pionierin auf dem Gebiet der neuen Merle-Allele und Züchterin von Louisiana Leopard Catahoula Dogs
2] https://www.biorxiv.org/content/early/2018/05/22/328690 Merle phenotypes in dogs – SILV SINE insertions from Mc to Mh
3] Tilia Laboratories Testlabor für alle Merle-Allele, inkl Angabe der Basenpaare und Chromatogramm
4] https://www.facebook.com/groups/245793505958325/ englischsprachige Facebookgruppe über Testresultate und Merlefärbung
5] https://www.facebook.com/groups/346336929300692/ deutschsprachige Facebookgruppe über Testresultate und Merlefärbung
6] Merle Testing on Impaired Dogs Spendenaktion für weitere wichtige Forschung